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„Schon eine schlechte Nacht kann die gesamte Karriere zerstören.“

Ein Interview mit David Gelb, dem Schöpfer von „Chef's Table“

Wir sprachen mit David Gelb, dem Schöpfer von „Chef's Table“, über seine gefeierte Netflix-Dokumentarserie, seine Kochkünste und darüber, warum Köche die Superhelden unserer Zeit sind.

© Netflix/Capital Pictures/insight media

Ich gehe davon aus, dass Sie nicht nur leidenschaftlicher Filmemacher sind, sondern auch gerne kochen. Erzählen Sie mir etwas zu Ihrer Beziehung mit Essen?

Seit ich mich erinnern kann, fasziniert es mich. Beide meine Eltern essen gerne. Meine Mutter ist Rezeptköchin und arbeitet mit Chefköchen daran, ihre Rezepte so abzuwandeln, dass sie in Kochbüchern stehen können.

Erinnern Sie sich an Ihre erste Liebesgeschichte mit einem bestimmten Gericht?

Mit zwei und vier Jahren reiste ich mit meinen Eltern nach Japan und war einfach verrückt nach Gurken-Sushi. Da ich noch sehr klein war, wollten meine Eltern nicht, dass ich Fisch aß, weil sie befürchteten, dass dieser nicht gesund für mich war., aber die Reise weckte meine Faszination für japanische Aromen. Als wir wieder nach New York zurückkehrten, erzählte ich meinen Freunden von all den neuen Gerichten, die ich probiert hatte. Es war also schon immer meine Leidenschaft, zu essen und Geschichten darüber zu teilen.

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Sind Sie ein guter Koch?

Ich koche sehr gerne. Allerdings kann ich besser essen als kochen. Ich habe unendlich viele Kochbücher und meine Mutter hat mir wirklich viel beigebracht. Außerdem verbringe ich viel Zeit in den Küchen von Profi-Kochs. Da beobachte ich, was sie tun, und versuche, es zu Hause nachzumachen. Ihre Kochstile konzentrieren sich hauptsächlich auf die Zutaten, mit denen sie zu einem bestimmten Zeitpunkt kochen können. Es geht ihnen um frisches Gemüse und Rindfleisch, und darum, mit welchen Zubereitungsmethoden sie die Seele dieser Zutaten in ihrem Gericht zum Vorschein bringen können.

Haben Sie ein Gericht, von dem Ihre Freunde schwärmen?

Ich grille unglaublich gerne, und es gibt ein sehr einfaches Gericht, das ich an solchen Abenden gerne zubereite. Es ist von Alain Passard inspiriert, über den wir eine Folge in unserer französischen Serie von "Chef's Table" drehten. Man braucht eine frische Aubergine. Die legt man dann einfach roh, direkt in die Kohlen des Grills und lässt das Äußere beinahe komplett verkohlen. Nach einer Weile schneidet man sie auf, holt all das köstliche Auberginenfleisch heraus, das jetzt weich und wundervoll geräuchert ist, und schmeckt es mit ein bisschen Öl, Meersalz und vielleicht etwas Parmesan ab. Es ist ein äußerst einfaches Gericht, aber unglaublich lecker.

„Das Klischee des wütenden Kochs ist ein bisschen übertrieben.“

Bei „Chef's Table“ geht es um die Gerichte, aber vielleicht mehr noch um die Person, die in dem Koch steckt. Warum sind Köche die perfekten Protagonisten?

Ich finde sie einfach faszinierend. Sie sind so anders. Ja, sie sind ausgefallen und übertrieben, aber eigentlich sind sie fantastische Geschichtenerzähler. Sie erzählen uns Geschichten über ihre Gerichte und somit über ihr Leben. Ihre Berufe sind von hohem Stress und Intensität geprägt und sie riskieren so unendlich viel! Das Risiko, ein Restaurant zu betreiben, ist sehr hoch. Es gibt viele sicherere Arten, Geld zu verdienen oder sich als Koch durchzuschlagen. Ich mache meinen Film einmal. Der existiert dann für immer so, wie ich ihn herausgegeben habe. Ein Koch muss jeden Abend dieselbe Leistung wiederholen. Schon eine schlechte Nacht kann die gesamte Karriere zerstören.

David Gelb accompanies the shoot of the Netflix series with Jeong Kwan, a nun in South Korea who cooks temple cuisine.

Welche üblichen Klischees sind Ihrer Erfahrung nach tatsächlich wahr und welche nicht?

Um ehrlich zu sein, ich glaube, dass die meisten Klischees – der wütende Koch beispielsweise – übertrieben sind. Sie stimmen nur in manchen Fällen; Tim Raue, beispielsweise, ist ein echt harter Kerl. Aber trotzdem arbeitet er seit Jahren mit seinem Team. Sie haben eine Beziehung miteinander und seine Brigade versteht, wie sie mit seiner Art, zu kommunizieren, umgehen muss und ist an sie gewöhnt. Aber ich habe gemerkt, dass die meisten Köche und ihre Teams in vielerlei Hinsicht eher wie eine große Familie sind. Chefköche wie Massimo Bottura, Gaggan (Anand) und viele andere bieten ihrem Team eine Unterkunft und sind praktisch ihre Lehrer. Ich finde, dass wir in fiktionalen Geschichten Köche nicht oft genug als Lehrer sehen.

Woran liegt das?

Weil es interessanter ist, ihre verrückte Seite zu sehen! Wenn man sich die französische Serie „Chefs“ oder „Im Rausch der Sterne“ mit Bradley Cooper anschaut, sieht man viel Konflikt und Drama. In Wahrheit aber sind Köche sehr rücksichtsvolle Menschen. Ist ein Koch ein echtes Arschloch, werden auch seine Arbeit, seine Kochkünste nicht so gut sein. Köche sind im Allgemeinen auch unglaublich großzügig. Sie verbringen ihr Leben damit, anderen Leuten zu dienen. Sie möchten ihre Gäste glücklich machen.

„In unserer Sendung geht es nicht darum, wie man kocht, sondern warum man kocht.“

Wie würden Sie „Chef's Table“ beschreiben? Als Food Porn? Hohe Kunst? Reisedokumentation?

Wenn es nur um das erzählerische Element geht, sind es Superhelden-Storys. In jeder Folge geht es um eine wirklich einmalig talentierte Person, die die Chance hat, die Welt zu ernähren, Dinge zu tun, die sonst keiner kann, und ihren Platz in der Welt finden muss. Und oft müssen sie sich anhören: „Nein, das geht so nicht. Du gehörst hier nicht hin“, genau wie Superhelden auch. Außerdem machen sie Fehler, aus denen sie lernen, wie sie ihre Superkräfte verwenden sollten. Massimo Bottura musste sich immer anhören: „Lass Omas Rezepte in Ruhe, diese Dinge ändert man einfach nicht“. Das akzeptierte er aber nicht. Und jetzt zählt er zu den besten Köchen der Welt.

The cook Tim Raue is known for his tough tone as well as for his genius dishes.

In „Chef's Table“ spielt auch klassische Musik eine wichtige Rolle. Ist das die beste Art, um die Magie des Geschmacks und der Aromen auf den Fernsehbildschirm zu zaubern?

Wir nutzen alle üblichen filmischen Mittel, um die Zuschauer in das Erlebnis miteinzubeziehen, meistens sind das eben visuelle und akustische Mittel. Und natürlich das Herz. Das Herz ist die wichtigste Zutat bei Chef's Table. Damit meine ich den emotionalen Kontext, die Gefühle des Kochs, den Teil seiner Lebensgeschichte, der durch das Essen zum Vorschein kommt. In unseren Geschichten geht es um die Menschen. Wir zeigen nur Gerichte, die auch eine emotionale Bedeutung für die Köche haben. Damit geht es in unserer Sendung nicht darum, wie man kocht, sondern warum man kocht.

Kam Ihnen so die Idee für „Chef's Table“?

Ich hatte die Idee, noch während ich zur Filmschule ging. Damals liebte ich die BBC-Dokumentation „Planet Erde“ und war fasziniert davon, wie es ihnen stets gelang, die Erde so wunderschön darzustellen.. Dann wurde mir klar, dass ich dasselbe mit Essen machen könnte. Das Ergebnis war mein erster Film, „Jiro und das beste Sushi der Welt“, den ich 2011 fertigstellte und der als meine Vorlage für „Chef's Table“ diente. Sie sprachen eben vom fehlenden Geschmack und Geruch für die Zuschauer: In diesem Film gibt es eine Szene, in der einer der Lehrlinge Eier-Sushi macht. Er schafft es erst nach dem 200. Versuch. Als es endlich klappt, sagt er, er könne weinen vor Freude. Wenn das Eier-Sushi im Film also endlich auf dem Teller präsentiert wird, bedeutet das so viel mehr, als der Geschmack oder Geruch es je könnten, weil es die emotionale Kraft dieses Moments viel besser verkörpert.

With much passion, love and precision Virgilio Martínez arranges the dish.

Wie stehen Sie zur europäischen Küche?

Ich liebe Europa! Wenn es ums Essen geht, bin ich verrückt nach der französischen Küche. Eins meiner Lieblingsgerichte in Frankreich habe ich in Paul Bocuses Restaurant in Lyon gegessen. Die Eleganz des Menüs und die Schönheit der französischen Landschaft waren einfach umwerfend. Ich war kürzlich in Spanien und bin verrückt nach Jamón Ibérico. Ich liebe Tapas und den Schinken von dort. Das Baskenland liegt mir ebenso am Herzen. Und Italien! Italien ist mir wirklich sehr wichtig, weil ich Nudelgerichte so liebe. Eiernudeln esse ich auch unendlich gerne, schon seitdem ich als Kind mit meinen Eltern in Japan war. Aber ich liebe Nudeln. Und Parmesan. Ich glaube, da hatte Massimo Bottura großen Einfluss auf mich. Aber auch für Currywurst in den Straßen von Berlin kann ich mich begeistern. Ich liebe also alles ... von der gehobenen Küche bis zum Streetfood.

Die dritte Staffel „Chef's Table“ ist gerade auf Netflix erschienen. Wie sieht Ihre Zukunft aus?

Wir arbeiten bereits an weiteren Staffeln „Chef's Table“, aber mehr kann ich dazu im Moment noch nicht sagen. Ich kann Ihnen aber versprechen, dass es noch viele großartige Köche mit großartigen Geschichten gibt, die an vielen verschiedenen Orten der Welt komplett andere, neuartige Dinge tun.

 

Bilder: © Netflix, © Netflix/Capital Pictures