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Best and Beyond: Thomas Keller – The French Laundry

„Wenn ein Restaurant vollbesetzt ist, ist es relevant.“

Nach einer großflächigen Renovierung seines Kultrestaurants The French Laundry, führt Thomas Keller weiterhin die Evergreen-Revolution an. Im sechsten Teil der von Miele präsentierten Serie „Best and Beyond“ treffen wir den ultimativen Mentor amerikanischer Gastronomie.

An einem Montagmorgen erinnert der grasbedeckte Innenhof von The French Laundry an einen friedlichen Klostergarten. Eine Frau, die frische Blumen hineinträgt, um den Esssaal neu zu dekorieren, ist die einzige Erinnerung an den Vorabend; an die sabrierte Flasche 2006er Dom Perignon, die Lachshörnchen in Edelstahlhaltern und die 85 Gäste – ausverkauft, wie immer –, die sich an ihren Tischen für neun köstliche Gänge einfanden. 

Der Chefkoch, Thomas Keller, setzt sich vor die Fensterwand, die seine neue Küche umgibt, das Herzstück der 10-Mio.-$-Renovierung des French Laundry, während drinnen ein Dutzend Köche mit der Vorbereitung für das Abendessen beginnen, wenn die Vorstellung wieder von vorne beginnt, so wie bereits seit 23 Jahren.

„Der Louvre war die Inspiration“, sagt Keller und gestikuliert zur Küche mit ihrer wogenden weißen Decke, die an eine ausgebreitete Tischdecke erinnern soll, und zu anderen kürzlich renovierten Elementen. Kellers gemütliches Restaurant im Napa Valley besteht nun aus dem 1900er-Originalsteinhaus, einer modernistischen Anlage aus dunklem Holz mit privatem Esssaal und einem riesigen Weinkeller für bis zu 16.000 Flaschen. Des Weiteren gehören ein sanfter Landschaftsbau und geothermale sowie Solarenergiesysteme dazu. 

„Der Louvre ist eine historische Stätte“, fährt Keller fort, „genauso wie das French Laundry. Doch I.M. Pei hat mit der Glaspyramide die ganze Dynamik des Louvre auf den Kopf gestellt. Dieser Kontrast zwischen historisch und zeitgenössisch war etwas, das ich mir hier auch gewünscht habe.“

“The Louvre was the inspiration”

Ein empfindliches Gleichgewicht

Keller ist ein wahrer Meister dieses empfindlichen Gleichgewichts zwischen klassisch und modern, französisch und amerikanisch, elegant und frech. In der Ära von Pop-up-Restaurants und eiliger, grober Veränderung hat er sich wohltuend gleichbleibenden Erfahrungen verschrieben mit gepressten Leinentischdecken, feinstem Geschirr und bewährten Gerichten, wie Austern und Perlen sowie in Butter pochiertem Hummer. 

Doch ein bestimmtes Rezept beschreibt Kellers Ansatz wie kein anderes. Schon seit den Anfängen des French Laundry wird jeder Gast mit einem einzelnen himmlischen Amuse-Bouche begrüßt: ein kleines Hörnchen gefüllt mit einer Kugel kühlem Lachstatar, einem Hauch von Crème fraîche und etwas keckem Schnittlauch. Dieser wirklich verführerische Happen ist jedoch so viel mehr als nur das für Keller: es ist eine perfekte Eröffnungsstrategie, die Stress abbaut und den Ton für den kommenden luxuriösen Abend angibt. „Es ist eine Möglichkeit, einen Ruhepol zu setzen“, erklärt Keller. „Es gibt keinen Teller oder Besteck. Es ist ein Eishörnchen, zwei Bissen und schon ist es weg. Die Gäste haben eine Serviette, sie tupfen sich den Mund ab, trinken einen Schluck Champagner und gehen in dem wunderbaren, vollendeten Erlebnis auf.“ 

Über die Jahre hinweg hat sich das Hörnchen fast unmerklich weiterentwickelt. „Entwickelt“ ist hier das Schlagwort, denn für Keller geht Entwicklung meist durchdacht und subtil vonstatten. „Viele Gäste kommen ins Restaurant, weil sie wissen, was sie erwarten können. Für alles gibt es Bezugspunkte“, sagt er. 

Dass dieser relativ stille gastronomische Ansatz den Grundstein für ein solches Imperium gelegt hat, ist der Beleg für Kellers Talent und Antrieb. Heutzutage betreibt er zwei Restaurants mit je drei Michelin-Sternen (The French Laundry und das New Yorker Partnerrestaurant, Per Se), als einziger amerikanischer Koch mit diesen Auszeichnungen; dazu kommen neun Bouchon-Bistros und -Bäckereien sowie das zwanglosere Restaurant Ad Hoc. 

Für dieses Jahr ist die Eröffnung eines klassisch amerikanischen Retro-Restaurants in der Hudson-Yards-Anlage in New York City geplant. Und dann wären da noch die unzähligen Preise und Auszeichnung, darunter natürlich der erste Platz auf der Liste der World's 50 Best Restaurants in den Jahren 2003 und 2004 für The French Laundry. 

Genauso wichtig, wenn auch weniger leicht messbar, ist Kellers präziser beruflicher Ansatz, der die amerikanische Gastronomie von Grund auf verändert und einige der besten Köche der nächsten Generation gefördert hat, darunter Cory Lee von Benu in San Francisco und Grant Achatz von Alinea in Chicago. 

Der legendäre Koch und Restaurateur Daniel Boulud, der mit Keller in den 1980ern im Westbury Hotel in New York gearbeitet hat, bringt es auf den Punkt: „Heutzutage können wir in jeder Stadt und in jedem Teil des Landes gut essen. Und das haben wir Thomas Keller zu verdanken. Vielleicht hat er nicht genau diesen Koch geschult, doch sein Lehrling hat wiederum andere Köche gelehrt.“

“We don’t want to have a drastic change with our food, nor do we have to”

Die Klassiker in neuer Auflage

Kellers Karriere begann als Teenager in Palm Beach im Restaurant seiner Mutter. „Es war meine Mutter, die mir beigebracht hat, wie wichtig Hygiene und Arbeitsmoral sind. Außerdem habe ich Organisationseffizienz und kritisches Feedback gelernt.“ 

Später arbeitete er in verschiedenen New Yorker Restaurants und wurde in Frankreich unter anderem im Taillevent und Guy Savoy ausgebildet. Als er in den 1980ern wieder nach New York zurückkehrte, begann er, „sich einen Namen zu machen“, wie sich Boulud erinnert. „Seine Gerichte waren sehr minimalistisch und präzise. Sie wurden von den Zutaten und den Zubereitungsmethoden definiert. Langsam entfernte er sich von den französischen Klassikern. Es war wirklich spannend.“ 

Doch sein erstes Restaurant ging in der Rezession Ende der 1980er unter und nach einer kurzen Pause als Berater in New York und Koch in Los Angeles fand Keller sein neues Zuhause: im French Laundry im Napa Valley. Durch die Vergrößerung des bescheidenen Nutzgartens zu dem heutigen 3 Hektar großen Garten wurde er einer der ersten Unterstützer regionaler, nachhaltiger Zutaten und revolutionierte die französische Küche mit seinem Bezug auf das regionale „Terroir“ in Kombination mit seiner amerikanischen Verspieltheit.

Laut Keller geht es bei der Neurenovierung hauptsächlich darum, sein Engagement für biologische Verfahren und Nachhaltigkeit zu untermauern. Die Außenwand der Küche ist von grün schimmerndem Ätzglas umgeben. Klimaanlage, Heizung und Kühlung werden von einem geothermalen System, das Wasser in 140 m Tiefe zirkuliert, reguliert. 

Die Veränderungen im Esssaal hingegen sind subtiler, um den historischen Charme des Gebäudes unberührt zu lassen. Die neue Farbpalette ist sanfter und die Tischoberflächen sind minimalistischer dekoriert.

“It is an opportunity to put people at ease”

Kein Drang nach Veränderung 

Keller sträubt sich ein wenig, als wir fragen, ob er darüber nachdachte, sein Menü zu ändern. „Wir möchten unsere Gerichte nicht drastisch ändern. Das müssen wir auch nicht“, antwortet er. „Wie Paul Bocuse schon vor 40 Jahren sagte: Wenn ein Restaurant vollbesetzt ist, ist es relevant.“ 

Bocuse ist eine wahre Schlüsselfigur für Keller – ein Mentor und Coach, der ihm 2011 in Frankreich den Ehrenlegionsorden verlieh. Nach einigen enttäuschenden Leistungen der US-Teams bei dem internationalen Kochwettbewerb, Bocuse d'Or, der alle zwei Jahre in Lyon ausgetragen wird, bat Bocuse Keller, das amerikanische Team zu betreuen, und so gründete er Ment'or, eine Stiftung zur Unterstützung der Entwicklung junger Köche für das US-Team. Nach 10-jähriger Flaute gewannen die USA Anfang dieses Jahres erneut Gold. „Der Bocuse d'Or geht weit über mich, dieses und unsere Restaurants hinaus. Es ist praktisch das Herz unseres Metiers. Viele Leute erkennen die Verbindung zwischen unserem gastronomischen Ansatz und unserem Nationalstolz noch nicht, aber ich glaube, dass sich das nach und nach ändert.“ 

Die Entwicklung von Nachwuchstalenten – ob mit Ment'or, in seinen eigenen Restaurants oder indirekt durch seine einzigartigen Gerichte und beliebten Kochbücher – ist eine absolute Konstante in Kellers Leben. The French Laundry ist eins von nur sieben Restaurants, die einen Anspruch auf den Titel des besten Restaurants der Welt erheben, und die kürzliche Renovierung hat die Zukunftsrichtung der Einrichtung – ob absichtlich oder nicht – zementiert. Thomas Kellers bleibendes Vermächtnis als eine der größten kulinarischen Persönlichkeiten unserer Zeit ist gesichert.
 

 

Bilder: ©Getty images